Ich habe weiterhin diese schlechten Tage. Mittlerweile aber nicht mehr so oft und auch nicht mehr so intensiv. Immer öfter schaffe ich es, meine negative Stimmung so zu beeinflussen, dass ich mich wieder handlungsfähig fühle, dass ich wenigstens ein bisschen am Alltag teilhaben kann und nicht den ganzen Tag völlig apathisch auf der Couch liege und sinnlos Löcher in die Luft starre. Ich führe Tagebuch über meine alltäglichen Aktivitäten und notiere mir dazu, in welcher Stimmung ich war. Eigentlich soll man das ja stündlich machen, aber das kriege ich nicht hin, das ist mir zu viel. Aber viermal am Tag schreiben, das geht gut. Morgens schreibe ich direkt noch im Bett auf, ob ich mich ausgeruht fühle, wie ich meine Nacht empfunden habe, ob ich mit oder ohne Wecker wach geworden bin. Und natürlich schätze ich meine Stimmung ein. Dafür nehme ich einfach Smileys: den lachenden für gute Laune, den mit dem geraden Mund für na ja geht so Laune, und den mit den herunter gezogenen Mundwinkeln für schlechte Laune. Ausserdem schreibe ich mir noch auf, welche Gedanken so gerade in meinem Kopf sind. Vor allem achte ich dabei auf meine wertenden Gedanken, also zum Beispiel „Boah, das finde ich aber doof.“, „Da hab ich ja so überhaupt keine Lust drauf.“ Oder „Das schaffe ich doch nie.“. Meist sind das nämlich genau die Gedanken, die auch meine schlechte Stimmung auslösen. Wenn es mir gelingt, diese negativ wertenden Gedanken zu erkennen und sie entweder nur zu beobachten ohne ihnen Macht zu geben oder sie in andere, positive Gedanken umzuwandeln, dann rutscht meine Laune oftmals gar nicht mehr so sehr in den Keller. Auch lohnt es sich für mich oft, mir den Tag vor dem Tief anzuschauen. Ich habe dabei entdeckt, dass ich an dem Tag vor einer depressiven Phase nicht gut mit mir umgegangen bin. Ich habe zu wenig getrunken oder mich sehr ungesund ernährt. Ich habe zu wenig geschlafen und mir zu wenige Pausen gegönnt. Ich habe zu viele Aufgaben versucht zu erledigen und hatte zu viele konflikthafte Kontakte. Ich habe keinen Sport gemacht und auch meine Meditationen ausfallen lassen. Ja, solche Tage kommen immer mal wieder vor, doch wenn mir durch die Analyse bewusst wird, dass es an mir und meinem Verhalten liegt, meine emotionalen Zustände zu beeinflussen, so gibt mir das das Gefühl der Kontrolle und das Gefühl der lähmenden Hilflosigkeit verschwindet. Zukünftig kann ich dann noch besser darauf achten, dass ich eine für mich gute Balance zwischen Anspannung und Entspannung finde und beibehalte. Eine wichtige Erkenntnis möchte ich an dieser Stelle besonders erwähnen: Mir ist bei diesen Tagesanalysen aufgefallen, dass ich sehr empfindlich auf zu viele Reize reagiere. Da ich ländlich wohne, habe ich nicht so oft eine Reizüberflutung, aber zum Beispiel reicht es schon, wenn ich in einem grossen Einkaufszentrum shoppen war. Dann bin ich an demselben Tag häufig körperlich sehr erschöpft und am nächsten Tag stellen sich meine depressiven Symptome ein.
Durch das Aufschreiben meiner Aktivitäten und meiner Gefühle habe ich ausserdem herausgefunden, was mir gut tut. Leider ist ja unser Gehirn in negativen Gefühlen schwer in der Lage, irgendwas Positives zu finden. Deswegen habe ich mir eine Liste gemacht mit all den Dingen, die mir besonders viel Spass machen und sich besonders positiv auf meine Laune auswirken. Immer, wenn ich dann in meinem Trübsinn dasitze und mir nichts anfällt, was ich machen könnte, damit es mir besser geht, hole ich meine Liste hervor und probiere davon ein, zwei oder mehr Sachen aus.
Manchmal hilft jedoch gar nichts, um mich aus meinem Loch heraus zu holen. Meine erste Reaktion ist dann meist Wut, weil ich doch meine Aufgaben erledigen möchte, aber nicht kann. Leider macht die Wut die ganze Situation nur noch schlimmer. Deswegen probiere ich es momentan mit einer akzeptierenden Haltung. Das heisst, ich registriere, dass es ein „schlechter“ Tag ist und akzeptiere, dass es so ist und dass ich im Augenblick nichts dagegen tun kann. Alle Gedanken, welche mich und die Situation verfluchen und abwerten, schaue ich mir an und lasse sie kommen und gehen wie die Wolken am Himmel. Ich mache gedanklich einen Haken an diesen Tag und bleibe auf meiner Couch liegen oder gehe ins Bett. Ich akzeptiere, dass meine Seele und mein Körper wahrscheinlich eine Auszeit brauchen und folge diesem Bedürfnis. So kann ich wenigsten noch das Beste aus diesem „verlorenen“ Tag machen. Was mir bei diesem Akzeptieren auch geholfen hat, dass ich meine Freunde direkt gefragt habe, ob sie solche schlechten Tage auch kennen. Und ich war überrascht, wie viele von denen diese Frage bejahten. Vor allem war ich erstaunt, dass ich bei den meisten das gar nicht gedacht hätte, dass sie auch hin und wieder mit schlechter Laune und Selbstabwertung zu kämpfen haben. Natürlich habe ich dann auch gleich gefragt, wie sie mit solchen Tagen umgehen. Sehr interessant, dass jeder seine eigene Strategie hat.
Nochmals ein grosses Dankeschön an Frau J. für ihre Offenheit. Hier geht es zum ersten Teil ihres Erfahrungsberichtes.
Herzliche Grüße,
Wenke Kroschinsky
Psychologische Psychotherapeutin für Verhaltenstherapie
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